Erdkugel im Wasser, Symbolfoto Klimawandel.

Eisschmelze durch Klimawandel

Neue Studie: Schelfeis in der Westantarktis wird unwiderrufbar schmelzen

Stand
MODERATOR/IN
Ralf Caspary
Ralf Caspary
INTERVIEW
Janina Schreiber
AUTOR/IN
Lena Schmidt

Das Schelfeis in der westantarktischen Amundsensee im Südpolarmeer wird abschmelzen - selbst, wenn das 1,5-Grad-Ziel erreicht wird. Das zeigen britische Forschende in einer neuen Simulation. Was das Ergebnis für uns bedeutet.

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In ihrer Studie, die im Fachjournal Nature Climate Change erschienen ist, untersuchten britische Forschende anhand eines regionalen Ozeanmodells verschiedene Szenarien. Eins davon: Was passiert mit dem Schelfeis in der Amundsensee, wenn die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden kann?

Die 1,5-Grad-Marke der globalen Erderwärmung gilt als wichtiges Limit, auf dessen Einhaltung sich die Vereinten Nationen im Pariser Klimaabkommen abgestimmt hatten. Bis zu dieser Erwärmung seien verheerende Folgen für Umwelt und Mensch noch begrenzbar. Doch die Aussichten für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels stehen derzeit schlecht.

Auch deshalb hat das britische Forschungsteam in seiner Simulation ebenfalls berechnet, wie sich eine Erderwärmung von durchschnittlich 2-Grad- oder noch mehr auf das Amundsensee-Schelfeis auswirken würde. Das ernüchternde Ergebnis: Schon im ambitionierten Szenario von 1,5-Grad verschwindet das Eisschelf in der Amundsensee.

Globaler Klimastreik in Düsseldorf. Ein 1,5-Grad-Pappschild wird hochgehalten. Symbolbild.
Die Berechnungen des Forschungsteams zeigen: Selbst wenn sich die Erde nur um 1,5 Grad erwärmt, wird das Schelfeis in der Amundsensee verschwinden.

Was ist ein Eisschelf?

Schelfeis - das sind große, schwimmende Eisplatten, die zwischen 200 und 1000 Metern dick sind. Sie schwimmen auf dem Meer, als Ausläufer eines Gletschers auf dem Festland. Schmilzt dieser und schiebt sich so von der Küste weiter ins Meer, entsteht ein Eisschelf. Das westantarktische Eisschelf in der Amundsensee liegt unter anderem am Thwaites- und Pine Island-Gletscher.

Bricht ein Teil des Eisschelfs ab, treibt er als Eisberg auf dem Meer - dieser Prozess wird auch "kalben" genannt. Durch den menschengemachten Klimawandel wird dieses Phänomen häufiger. Denn das wärmer werdende Meerwasser schmilzt die Unterseite der Schelfeise.

Das kann auch für die Gletscher Folgen haben. Werden die Schelfeise dünner, fließt das Tauwasser der Gletscher ungebremster ins Meer ab. Verschwinden sie ganz, kommen die Gletscher und Eisschilde selbst mit dem warmen Meerwasser in Berührung - das sorgt für einen noch größeren Eismasseverlust.  

"Und genau das zeigt die Studie jetzt: Dieser Schutzschild aus Schelfeis geht in dieser Amundsensee-Region verloren", erklärt Janina Schreiber aus der SWR Umweltredaktion im Gespräch mit SWR2 Impuls.

Karte zur Antarktis und besonders bedrohten Gletschern. Hochformat: 60 x 75 mm, Grafik: C. Bollinger, Redaktion: K. Klink.
Die Eisschmelze hätte Auswirkungen auf die vom Eisschelf stabilisierten Gletscher, unter anderem den Thwaites-Gletscher.

Kipppunkt für die Schelfeisschmelze in der Amundsensee erreicht

Es ist zwar normal, dass das Eis der Antarktis in den Sommermonaten taut und im Winter wieder gefriert. Doch seit einigen Jahren geht der Trend in die Richtung, dass die Antarktis insgesamt an Eismasse verliert. Das zeigen auch Daten der NASA.

Der Osten des Kontinents ist noch nicht so stark von der Eisschmelze betroffen wie die Westantarktis. Dort sind in den vergangenen 25 Jahren rund 3,3 Billionen Tonnen Eis verloren gegangen. Auch mit Blick auf die britische Studie zeichnet sich in einem Teil der Westantarktis eine ernste Entwicklung ab, erklärt Schreiber:

Die grundlegende Frage ist immer: In welcher Geschwindigkeit können wir ein Abschmelzen feststellen, also gibt es einen Kipppunkt, ab dem das Eis weg ist und auch nicht mehr kommen wird? Und genau da sagt die neue Studie - zumindest für das Schelfeis in der Amundsensee - Ja, da ist dieser Punkt wohl erreicht.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schätzen das Ergebnis der Studie als unstrittig ein. Auch wenn der komplette Verlust der Westantarktis laut Modellrechnungen nicht innerhalb dieses Jahrhunderts zu erwarten sei. Doch wenn dieser Komplettverlust dann eintritt, hätte das laut derzeitiger Studienlage einen Meeresspiegelanstieg von drei bis fünf Metern zur Folge. 

Überschwemmungen durch Sturmtief Nadia. Symbolbild.
Wenn der Meeresspiegel stark ansteigt, bekommen das auch unsere Küstenstädte in Deutschland zu spüren. Im schlimmsten Fall könnten bis 2100 mehr als 10.000 Quadratkilometer Norddeutschlands überflutet werden. Das zeigt eine Simulation der Hafencity Universität.

Hoher Meeresspiegelanstieg erwartet

Es gibt noch weitere Kipppunkte, die den Meeresspiegel signifikant erhöhen könnten, erläutert Dr. Torsten Albrecht. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Dynamik des Klimasystems am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und hebt einen Lichtblick hervor, der in der Studie angesprochen wird: Für eine Begrenzung der Schmelze in der Ostantarktis oder in Grönland sei es womöglich noch nicht zu spät. 

Außerdem hat das Forschungsteam nicht alle Faktoren in seinem Modell berücksichtigt, fügt Janina Schreiber hinzu:

Das nennen auch die Autorinnen und Autoren ganz transparent, es wurde "nur" die Meerestemperatur modelliert. Was in der Berechnung fehlt, sind Wechselwirkungen zwischen Schelfeis und Gletscher. Es könnte durchaus sein, dass sich bei fortschreitenden Eisverlust andere stabilisierende Kräfte einstellen, die den Kollaps der gesamten Westantarktis dann doch bremsen. Es könnte zum Beispiel mehr Schnee fallen, der die Gletscher wieder vorm Schmelzen schützt.

Das Bild zeigt die Eisberge um die Insel Cuverville in der Antarktis, Symbolbild.
Schmilzt eines Tages die gesamte Antarktis, könnte der Meeresspiegel um bis zu 58 Meter ansteigen.

Jedes zehntel Grad zählt

Dennoch sind die Berechnungen ernst zu nehmen. Die dramatische Entwicklung in der Amundsensee lasse sich als "ein Vorbote für Ereignisse in weiten Teilen der Westantarktis" verstehen, sagt Dr. Heiko Goelzer vom Norwegian Research Centre (NORCE). Während andere westantarktische Regionen wie das Ronne- oder Ross-Eisschelf bisher nicht im Kontakt mit warmen Ozeanströmungen gelängen, müsse man damit rechnen, dass es dazu kommen kann - auch wenn möglicherweise erst nach 2100.

Sich auf einen unvermeidbaren Meeresspiegelanstieg einzustellen sei besonders für Anpassungsstrategien wichtig, zum Beispiel im Küstenschutz, sagt Torsten Albrecht. Und gerade deshalb lohnt es sich auch, die Erderwärmung so gering wie möglich zu halten - obwohl das Schicksal des westantarktischen Eises auch bei Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels besiegelt scheint.

Jedes zehntel Grad zählt. Wir müssen unsere Treibhausgase runterfahren. Denn - auch wenn es nicht umkehrbar ist - zumindest zögern wir damit das Schmelzen weiter raus und haben in der Folge mehr Zeit uns anzupassen an einen kommenden Meeresspiegelanstieg

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