Eine Jugendliche sitzt auf einem Bett. Auf ihrem Schoß ist ein aufgeklappter Laptop.

Modellprojekt gestartet

Uniklinik Freiburg schafft Anlaufstelle für Kinder mit Long Covid

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Nadine Zeller
Nadine Zeller

Ein Modellprojekt der Uniklinik Freiburg soll Kindern und Jugendlichen mit Long Covid helfen. Eine Anlaufstelle für Betroffene wie die 17-jährige Emilia aus Freiburg.

Um Kindern mit Long Covid zu helfen, haben sich vier Universitätskliniken des Landes - Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm – zusammengeschlossen. Die neue Anlaufstelle soll die Behandlung junger Patientinnen und Patienten verbessern. Denn manche sind so geschwächt, dass sie nicht einmal mehr das Haus verlassen können.

Emilia leidet unter Long Covid

Emilia ist eine von ihnen. Hund Jimmy tapst zu ihrem Bett und legt den Kopf auf die Matratze. Die 17 Jahre alte Gymnasiastin streicht dem Golden Retriever über den Kopf und lächelt. Er gibt ihr Halt in schweren Zeiten.

Seit Mai hat sie die Wohnung im Freiburger Westen nicht mehr verlassen. An einen Schulbesuch ist nicht zu denken.

Licht, Menschen, Lärm - alles ist ihr zuviel

Sie leidet unter einer besonders schweren Form von Long Covid - dem sogenannten chronischen Fatigue-Syndrom auch ME/CFS genannt. Menschen, die an diesem starken Erschöpfungssyndrom leiden, empfinden ganz alltägliche Dinge als belastend: Licht, Kontakt zu Menschen, kurze Gänge von A nach B.

Es gab Zeiten, da konnte ich nicht essen, weil ich nicht mal die Kraft hatte, meine Gabel zu halten.

Patientinnen und Patienten, die unter einer chronischen Fatigue leiden, sind oft noch bis zu 20 Monate nach einer Coronainfektion stark beeinträchtigt. Das zeigt eine Studie der Charité - Universitätsmedizin Berlin und des Max Delbrück Centers - manche erholen sich gar nicht mehr.

Auch Fachärzte verstehen nicht, was Emilia fehlt

Emilias Vater Thomas Schwarz arbeitet selbst als Arzt. Er ist Internist und hat eine Praxis in der Freiburger Innenstadt. Doch selbst er braucht lange, um zu verstehen, dass mit seiner Tochter etwas nicht stimmt.

"Hinterher haben wir uns schon gefragt, ob wir einen Fehler gemacht haben, weil wir wochenlang zugeguckt haben", sagt er. Andererseits seien sie mit Emilia bei verschiedensten Fachärzten gewesen. Und ständig habe es geheißen, dass die Befunde unauffällig seien.

Lehrer vermuten oft fälschlicherweise Schulangst

Neuropädiaterin Karin Storm van's Gravesande überrascht das nicht. Immer wieder berichteten Eltern von einer wahren Facharzt-Odyssee. Noch herrsche zu wenig Wissen über Long Covid bei Kindern vor - auch an den Schulen. Lehrer und Lehrerinnen vermuteten häufig Schulangst als Auslöser für die Abwesenheit.

Ärztin Karin Storm van`s Gravesande im Gespräch mit einem jungen Patienten.
Neuropädiaterin Karin Storm in der neuen Ambulanz

Ein interdisziplinäres Team kümmert sich um die Kinder

An der Uniklinik Freiburg kümmert sich ein ganzes Team um die Kinder. Psychologen, Neuropädiater und Kinderärzte testen und untersuchen die Jugendlichen auch. Das eine Symptom, das auf Long Covid hinweist, gibt es nicht. Die Ärztinnen und Ärzte versuchen deshalb, andere Erkrankungen auszuschließen, was aufwendig ist, zum Beispiel Depressionen. Gaby Hönig, Psychologin an der Uniklinik Freiburg, sagt:

"Leiden Kinder oder Jugendliche unter einer Depression, dann hilft es ihnen, rauszugehen, Sport zu machen und so weiter." Bei dem chronischen Fatigue-Syndrom sei genau das Gegenteil der Fall. Belasteten sich die Patientinnen und Patienten zu früh, erlitten sie häufig sogenannte Crashs - also eine schubartige Verstärkung der Symptome.

Deshalb sei es dringend erforderlich, aufzuklären und mehr über die zugrundeliegenden Krankheitsmechanismen herauszufinden, erklärt Roland Elling, Oberarzt am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Freiburg. Er und sein Team begleiten das Projekt wissenschaftlich.

Long Covid bei Kindern und Jugendlichen verläuft oft anders als bei Erwachsenen. Beispielsweise können lange Fehlzeiten in der Schule lebenslange Folgen haben.

Per Videoanruf hält Karin Storm van's Gravesande Kontakt zu ihren Patientinnen und Patienten. Telemedizin ist ein entscheidender Teil des Projekts. Eine enorme Erleichterung für Emilia. Denn noch gibt es keine Therapie gegen Long Covid. Das Wichtigste ist, dass die Patientinnen und Patienten sich schonen. Auch Emilia musste das erst lernen. Ihr früheres Leben vermisst sie sehr.

Emilia schaut sich Bilder ihres früheren Lebens an

Sie scrollt auf ihrem Handy durch alte Bilder ihres Auslandsaufenthalts in den USA. Darauf erkennt man eine junge Frau im Fußballtrikot lächeln nach einem Fußballspiel, eine Frau auf dem Rennrad und bei einem Sprung ins Wasser. Die junge Frau ist Emilia. Sie sagt: "Ich vermisse dieses Leben und diesen Teil von mir. Einfach zu leben, wie man will, ohne Rücksicht auf irgendwelche Symptome nehmen zu müssen."

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