Michelangelo: Christus als Erlöser in der Kirche Santa Maria Sopra Minerva (Rom) (Foto: IMAGO, IMAGO / Trigger Image)

Zu hot für den Heiland?

Nach Streit um Oster-Plakat: Doch, Jesus darf sexy sein!

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Dominic Konrad
Dominic Konrad, Autor und Redakteur bei SWR Kultur und SWR Musik (Foto: SWR, Foto: Dominic Konrad)

Anfang Februar erhitzte ein Plakat für die Feierlichkeiten zur Osterwoche die Gemüter in Sevilla. Der Grund: Das Bild des spanischen Künstler Salustiano García Cruz mache Jesus Christus einfach zu sexy. Doch ein Blick in die Kunstgeschichte verrät: Sexy Jesus ist keine Erfindung des 21. Jahrhunderts, sein gutes Aussehen gehört sogar zum Markenversprechen.

Salustiano Garcia Cruz : Jesus als Werbung für die Semana Santa 2024 in Sevilla (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Uncredited)
Ist dieser Jesus zu sexy für die Feierlichkeiten zur Karwoche in Sevilla? Nicht, wenn es nach seinem Schöpfer Salustiano Garcia Cruz geht.

Zu sexy für die katholische Kirche?

Hohe Wangenknochen, feine Gesichtszüge, Modelmaße und ein suggestiv drapiertes Lendentuch: So ziert Jesus Christus in diesem Jahr die Plakate für die „Semana Santa“, die Karwoche, die in Sevilla wie in vielen anderen Städten Spaniens mit großen Prozessionen zelebriert wird. Gemalt hat das Porträt der in Sevilla lebende Künstler Salustiano García Cruz.

Die Empörung war groß, vor allem im Internet. Garcías Jesus ist vielen zu hübsch, zu profan, zu kitschig – und eben auch zu sexy. Und zugegeben: So wie Jesus auf dem Plakat posiert und nonchalant auf seine Seitenwunde zeigt, könnte er locker auch mit den Jungs aus der aktuellen Staffel von Heidi Klums Model-Mumpitz mithalten.

Der Künstler selbst bestreitet alle unanständigen Absichten.

Wenn jemand in meinem Bild etwas Schmutziges sieht, dann ist das Folge seiner eigenen Schmutzigkeit, die er auf das Bild projiziert.

Auch als Kunsthistoriker fragt man sich, warum ein gutaussehender Jesus im Jahr 2024 die Gemüter erhitzt. Wer gelegentlich Kirchen oder Museen besichtigt, der wird es sicherlich bemerkt haben: In allen Kunstepochen sah Jesus überdurchschnittlich gut aus.

Hingucker Heiland: So schmuck sieht Christus in der Kunst aus

Leonardo da Vinci: Salvator Mundi (Foto: IMAGO, IMAGO / Future Image)
Feine, gütige Gesichtszüge, güldene Locken und feinstes Tuch: So malt wahrscheinlich Leonardo da Vinci um 1500 den „Salvator Mundi“, den Retter der Welt. Das wiederentdeckte Tafelbild wurde 2017 in New York für 450 Millionen US-Dollar versteigert. Bild in Detailansicht öffnen
Michelangelo: Christus als Erlöser in der Kirche Santa Maria Sopra Minerva (Rom) (Foto: IMAGO, IMAGO / Trigger Image)
Aus feinstem Carrara-Marmor meißelte Michelangelo seinen auferstandenen Christus (ca. 1520), der in der römischen Kirche Santa Maria sopra Minerva besichtigt werden kann. Das Lendentuch ist übrigens nicht von Michelangelo, er hatte Jesus so dargestellt, wie sein Vater ihn schuf. Bild in Detailansicht öffnen
Perugino: Taufe Christi (Foto: IMAGO, IMAGO / UIG)
Fast nackt im Bade: Besonders viel Haut zeigt Jesus in den Bildern, die seine Taufe durch Johannes zeigen. Perugino malt ihn um 1500 mit drahtig-sportlichem Körperbau. Bild in Detailansicht öffnen
Guido Reni: Die Taufe Christi (1622-23) (Foto: IMAGO, IMAGO / UIG)
Etwas weniger definiert kommt Jesus in der Tauf-Darstellung von Guido Reni (1622-23) daher. Dafür zeigt sich hier auch Johannes der Täufer mit freiem Oberkörper. Bild in Detailansicht öffnen
Raffaello Sanzio: Glorreicher Christus (Foto: IMAGO, IMAGO / Artokoloro)
Weniger muskulös ist auch der „glorreiche Jesus“ in dieser Kohleskizze von Raffael (1483 - 1520). Sie ist aber bezeichnend für dessen weichen Stil. Bild in Detailansicht öffnen
Albrecht Dürer: Selbstbildnis (1528) (Foto: IMAGO, IMAGO / AGB Photo)
Kein Christus-Bild im eigentlichen Sinne, aber deshalb umso interessanter: Angestachelt vom neuen Künstler-Bewusstsein der Renaissance porträtiert sich Albrecht Dürer selbst 1528 in Gestus und Optik des „Königs der Könige“. Bild in Detailansicht öffnen
Edouard Manet: Der tote Christus mit Engeln (1864) (Foto: IMAGO, IMAGO / Heritage Images)
Auch im Tod sieht Jesus gut aus. Edouard Manet verzichtet für seine Darstellung des Christus nach der Kreuzabnahme (1864) darauf, die Spuren seines Leidens – die Striemen der Geißelung und die Wunden der Kreuzigung und der Dornenkrönung – zu betonen. Bild in Detailansicht öffnen

Wie Jesus aussah, verrät die Bibel nicht

Vertraut man auf die Beschreibungen des Neuen Testaments, ist Jesus von Nazareth zum Zeitpunkt seines Todes am Kreuz etwa 33 Jahre alt – relativ jung und unverbraucht. Im Lukas-Evangelium heißt es:

Jesus war, als er zum ersten Mal öffentlich auftrat, etwa dreißig Jahre alt. Er galt als Sohn Josefs.

Angaben zu Jesu Aussehen sucht man in der Bibel jedoch vergebens. Auch die ersten Christen scheuten sich davor, Christus in Porträts darzustellen. Zu groß war die Angst vor der Verfolgung. Sie zeigen ihren Glauben vielmehr durch Symbole wie den bis heute gebräuchlichen Fisch.

Als früheste bildliche Darstellungen Christi gelten die des „Guten Hirten“, eines bartlosen Jünglings in einer schmucklosen Tunika, der ein Lamm schultert. Doch auch diese Bilder sind mehr Sinnbild als Ebenbild.

Darstellung des Guten Hirten: Marmor-Figur eines bartlosen Hirten in Tunika mit einem Lamm auf den Schultern. (Foto: IMAGO, IMAGO / Artokoloro)
Die frühesten figürlichen Christus-Darstellungen sind die des „Guten Hirten“ (hier: Marmorfigur aus dem 3. Jahrhundert). Sie zeigen nicht den historischen Jesus, als mögliches Vorbild gilt die mythologische Figur des Orpheus.

Der Sex-Appeal Jesu gehört zum göttlichen Markenkern

Spätestens ab dem 8. Jahrhundert bleibt die Darstellung Christi weitestgehend konsistent: Jesus hat schulterlanges, braunes Haar, einen gepflegten, zweigeteilten Bart und wenn sein Körper nicht gerade durch wallende Gewänder bedeckt ist, würde man ihn heutzutage durchaus als gut gebaut bezeichnen.

Die westliche Kirche übernimmt damit die standardisierte Darstellung Christi der byzantinischen Ikonenmalerei. Deren optische Vorbilder stammen von antiken Götterbildern, vor allem Darstellungen des Jupiter, und Statuen prominenter Philosophen. Über die Attraktivität Jesu wird unter Gelehrten heftig diskutiert: Die äußere Schönheit des Heilands soll mit der Schönheit der Frohen Botschaft einhergehen.

Matthias Grünewald: Auferstehung Christi (Isenheimer Altar) (Foto: IMAGO, IMAGO / imagebroker)
Göttliche Erscheinung mit überirdischer Schönheit: In seiner Darstellung der Auferstehung am Isenheimer Altar zeigt Matthias Grünewald Christus als kosmische Lichtgestalt.

Spätestens die Künstlerinnen und Künstler der Renaissance betonen die Göttlichkeit Jesu durch seinen idealen Körper. Auch sie suchen ihre Vorbilder in der Antike und werden vor allem beim römischen Sonnengott Apollo fündig. Er leiht Jesus künftig seine makellosen Gesichtszüge und den durchtrainierten Body.

Das Jesus-Bild wandelt sich mit dem Aussehen der Gläubigen

Das Christus-Ideal der italienischen Renaissance verbreitet sich über Künstler wie Albrecht Dürer und Rogier van der Weyden auch im Norden Europas. Die Optik Jesu wird dabei dem Aussehen der Gläubigen vor Ort angepasst: Je weiter im Norden Europas Jesus gemalt wird, desto heller wird seine Haut und desto blonder sein Haar.

Joe Cauchi: Black Jesus Blesses the Children (Foto: IMAGO, IMAGO / SuperStock)
Jesus als Afrikaner? In Schwarzen Gemeinden ist die Abbildung von „Black Jesus“ keine Seltenheit. Warum auch? Schließlich dürfte diese Darstellung nicht weniger weit vom historischen Jesus entfernt sein als der weiße Jesus der europäischen Kunst.

In Afrika oder afroamerikanischen Gemeinden stellt man Jesus hingegen eher als Schwarzen Mann dar. In Asien erhält Jesus asiatische Gesichtszüge und schwarzes Haar. Bei all dieser Vieldeutigkeit fragt man sich doch: Wie sah eigentlich der echte Jesus aus?

Das versuchten Historiker und Forensikerinnen 2001 im Rahmen einer Dokumentation der BBC herauszufinden. Sie untersuchten Schädel jüdischer Männer aus dem Gebiet des antiken Judäa und aus der Zeit um Christi Geburt. Ihre Vermutung: Der historische Jesus hatte dunklere Haut, struppiges, kurzes Haar, einen Bart und ein deutlich breiteres Gesicht als seine Darstellung in der europäischen Kunst.

Computeranimierte Darstellung eines möglichen Porträts des historischen Jesus (BBC) (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture-alliance / dpa/dpaweb | Sally_Turner)
Sah so der historische Jesus von Nazareth aus? 2001 versuchten sich Forscher*innen für eine Dokumentation der BBC an einer Rekonstruktion des Gesichts von Jesus.

Ist das Problem des sexy Jesus aus Sevilla seine Sexualität?

Wenn Jesus also schon seit Jahrhunderten als jung, schön und muskulös dargestellt wird, warum empört sich das Internet nun ausgerechnet über den Jesus aus Sevilla?

Die Antwort ist so einfach wie entlarvend: Der Christus von Salustiano García Cruz sieht seinen Kritiker*innen einfach zu knabenhaft, zu feminin – und damit letztlich zu schwul aus. Der Künstler selbst kommentierte in der spanischen Zeitung „El Mundo“:

Ein schwuler Christus, weil er hübsch aussieht und ansehnlich ist - ich bitte Sie! - Wir leben im 21. Jahrhundert.

In Zeiten, in denen Ultrakonservative von den Vereinigten Staaten bis Russland gegen die ominöse Bedrohung einer „woken Weltverschwörung“ zum Angriff blasen, ist leider niemand mehr vor Anfeindungen sicher. Nicht mal Jesus, nicht mal an Ostern.

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Dominic Konrad, Autor und Redakteur bei SWR Kultur und SWR Musik (Foto: SWR, Foto: Dominic Konrad)